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Vergessen kann ich das nie – Die Geschichte einer Vergewaltigung

100 Min. | 1986

  • Inhalt

    Dieser Film handelt von sexueller Gewalt gegen Frauen.
    Er stellt anhand eines konkreten Falles die Probleme dar, mit denen zwei Frauen konfrontiert waren, die unter der sexuellen Gewalt eines Vorgesetzten zu leiden hatten.
    Es ist die persönliche Geschichte dieser Frauen und doch steht sie exemplarisch für viele andere. Die meisten von ihnen gelangen erst gar nicht an die Öffentlichkeit. Waltraud Hillmann und Vera Ritzka machten das ihnen zugefügte Leid öffentlich, sie stellten Strafanzeige. Doch sie mussten erfahren, dass sie nach ihrer Anzeige allein da standen.

    Kollegen, Bekannte, Verwandte und Freunde wandten sich von ihnen ab. Dem Täter wurde eher Mitgefühl entgegen gebracht als den betroffenen Frauen. Die Frauen wurden von der Boulevardpresse durch den Schmutz gezogen und mussten erleben, dass sie auch vor Gericht kein Recht bekamen.

    Der Angeklagte, er war der höchste Beamte und Personalchef der Stadtverwaltung Lauenburg und gleichzeitig einflussreicher örtlicher CDU-Funktionär, wurde zwar in einer ersten Gerichtsverhandlung wegen Vergewaltigung zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt, aber in einer zweiten Verhandlung sprach ihn das Kieler Landgericht vom Vorwurf der Vergewaltigung frei. Er kam mit einer Geldstrafe von 4000 DM für die eingestandene Nötigung davon. Die zynische Art und Weise, in der das Kieler Landgericht den Freispruch begründete, steht für zahlreiche ähnliche Urteile. Stets wird aus der Sicht des Täters argumentiert, die Frau als Lügnerin dargestellt.

    Die beiden betroffenen Frauen kommen in dem Film hauptsächlich zu Wort. Sie berichten sehr offen über ihre schmerzlichen Erfahrungen, die Vorgeschichte der Tat, den Prozess, die Reaktion der Kollegen und wie diese Verbrechen ihr Leben verändert haben. Es ist zu spüren, dass auch sie selber nicht mehr die gleichen sind wie vor der Tat.

    Der Aufbau des Filmes folgt einerseits der Chronologie der Ereignisse, erzählt die konkrete Geschichte dessen, was die beiden Frauen erleben mussten, andererseits wird diese Chronologie nach einzelnen Themenblöcken geordnet, um das Exemplarische der Probleme, die hier geballt auftauchen, zu betonen. Dabei wird insbesondere auch auf den Prozess vor dem Kieler Landgericht und das Urteil eingegangen.

    Der Film verdeutlicht, dass Vergewaltigung nicht mit der Tat beginnt und mit ihr beendet wird, sondern das Vergewaltigung Produkt unseres ganz "normalen" Alltags ist und in ihm ihre Vorbereitung wie auch ihre Vertuschung findet. Die täglich latente und offene Gewalt gegenüber Frauen ist so normal, dass kaum einer sie wahrnimmt. Wenn die Grenze dieser "Normalität" überschritten ist, eine Belästigung zur Vergewaltigung wurde, stehen die Opfer mit ihrer Scham und ihrer Verletzung häufig allein da. Im gesellschaftlichen Bewusstsein ist Vergewaltigung die Tat eines Verrückten, eines Triebtäters. Die Tat wird aus der "normalen" Gesellschaft "entfernt", obwohl sie gerade in ihr ihren Ursprung hat. Der Bekannte, Freund, Arbeitgeber ... der normale Mann kann nicht der Täter sein, er ist der Verführte: Die Frau wird zur Angeklagten.

  • Pressestimmen

    Rezension von Sigrid Werner
    NDR-Hörfunk, 5.11.1986

    „Vergessen kann ich das nie - die Geschichte einer Vergewaltigung“

    „Wie gesagt: es geht in dem Dokumentarfilm um die Geschichte einer Vergewaltigung. Und dies ist nicht irgendeine der Wirklichkeit nachempfundene Geschichte sondern der authentische Fall, der vor einigen Jahren in Lauenburg passierte.

    Da wurde ein bekannter CDU-Politiker und damaliger Personalchef der Lauenburger Stadtverwaltung von zwei Frauen wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung angezeigt. In der ersten Lübecker Gerichtsverhandlung verurteilte man ihn zu sieben Jahren Freiheitsstrafe, in der Revisionsverhandlung in Kiel sprach man ihn von dem Vorwurf der Vergewaltigung frei und verurteilte ihn wegen eingestandener sexueller Nötigung zu einer Geldstrafe von 4000 DM.

    Rechtlich gesehen ist damit dieser Fall wie so viele Prozesse, wo es um Vergewaltigung geht, abgeschlossen. Was aber bleibt nach für die betroffenen Frauen? Wie gehen sie mit ihren körperlichen und seelischen Verletzungen um?
    Wie reagiert die Umwelt auf das Delikt sexuelle Gewalt? Alles Fragen, die die beiden Filmemacher Quinka Stoehr und Kay Ilfrich nicht auf sich beruhen lassen, sondern in jahrelanger Arbeit in ihrem jetzt gezeigten Film darstellen. Im Mittelpunkt des Dokumentarfilms stehen die beiden betroffenen Frauen. Sie schildern, wie es ihnen ergangen ist, als ihr Vorgesetzter sie sexuell belästigte - am Arbeitsplatz, in Mittagspausen, auf Betriebsfesten und danach. Wie sie anfangs noch seine unzweideutigen Anspielungen entschuldigten, wie sie die Belästigungen vor ihren Ehemännern verheimlichten, bis es dann tatsächlich zu einer Vergewaltigung - so schildert es glaubhaft die betroffene Frau -kam. Dadurch, daß dieser Film die beiden Frauen und die indirekt Betroffenen, die Beschäftigten der Stadtverwaltung Lauenburg, zu Wort kommen läßt, kann der Zuschauer sehr dicht und chronologisch einwandfrei verfolgen, was sich in Lauenburg und später in den Gerichtsprozessen abgespielt hat. Durch erklärende Kommentare und gelungene Schnittführungen - wenn auch manchmal unscharfe Bilder - ist es den beiden Filmemachern in ihrem Erstlingswerk gelungen, das Thema Vergewaltigung zu enttabuisieren, ohne den Zuschauer zu einem Voyeur der Tat zu machen.

    Es wird deutlich, daß dieser Fall, der hier nach den Gerichtsprozessen noch einmal filmisch aufgerollt wird, ein Exempel ist. Sexuelle Nötigung am Arbeitsplatz und Vergewaltigung von Abhängigen - sei das nun innerhalb oder außerhalb der Ehe - finden jeden Tag statt. Die meisten Vorkommnisse werden nicht bekannt, da die betroffenen Frauen sich nicht zu einer Aussage entschließen können. Denn nach einer vollzogenen Vergewaltigung erfolgt dann der psychisch quälende Gang durch die Institutionen. Viele Frauen müssen dann quasi eine zweite psychische Tortur Über sich ergehen lassen, wenn ihre Aussagen von vornherein angezweifelt und sie von der Rolle des Anklägers erneut in die Rolle des Opfers hineingezwungen werden. Wichtig sind deshalb auch in dem Film die Passagen, l wo die Notrufgruppe für vergewaltigte Frauen in Kiel ihre Hilfe darstellt.

    Übrigens war es für die beiden Filmemacher nicht einfach, ihr Projekt zu verwirklichen. Ihnen wurden die anfangs angebotenen Hilfen des Kieler Studentenwerks verwehrt. Finanzielle Zuschüsse von Stadt und Land wurden ihnen versagt. Für eine geplante Podiumsdiskussion zu diesem Film sagten Richter und die Staatssekretärin des Sozialministeriums Annemarie Schuster ab. Nun, die Diskussion fand trotzdem statt, im Anschluß an den Film gestern. Und der Film,der einen gefangen nimmt und nachdenklich macht, ist bereits nächsten Montag, den 3. Dezember noch einmal
    in der Kieler Pumpe zu sehen.“


    „Es ist doch nichts passiert“
    TAZ v. 22.11.1986 von Irene Stratenwerth

    Ein Vergewaltigungsprozeß in der Provinz / Ohne Unterstützung von außen setzen sich zwei Frauen dem Gerichtsverfahren aus und unterliegen / Der Angeklagte setzt sich mit Hilfe seiner Freunde von der CDU durch / Ein ungewöhnlicher Film dokumentiert fast Alltägliches
    Malerische Unterstadt“ steht auf einem Schild, das Durchreisenden in Lauenburg den Weg ins historische Zentrum des Elbstädtchens weist. Enge Gassen, Kopfsteinpflaster, mittelalterliche Häuser, im Sommer sitzt man hier am Elbufer. Sonntags legt der Raddampfer „Kaiser Wilhelm“ zu Ausflugsfahrten ab. Nur 50 km von Hamburg entfernt, aber unmittelbar an der DDR–Grenze gelegen, scheinen die Uhren in Lauenburg langsamer zu gehen. Eine heile Welt nicht nur für Sommergäste. „Das ist doch gar nicht möglich; das kann einfach nicht wahr sein...“ So jedenfalls schildert die städtische Angestellte Helga H. ihre ersten Empfindungen, als ihr Chef sie eines Tages aus heiterem Himmel zum Schäferstündchen in ein Amtszimmer zitieren will. Auch ihre Kollegin Vera R. möchte die permanenten Anzüglichkeiten und Annäherungsversuche durch den höchsten Beamten und Personalchef der Stadt, der als CDU–Kassenwart zur Lokalprominenz gehört, am liebsten einfach nicht wahrhaben. Und als ihr Klaus E. im Rahmen einer Betriebsfeier unter den Rock greifen will, macht sie für diese „Entgleisung“ eher seinen Alkoholpegel als den Mann selbst verantwortlich. Schließlich kommen die beiden Frauen, die beide über fünfzig und verheiratet sind, miteinander ins Gespräch. Was können sie als kleine Angestellte schon tun, fragen sie sich. „Deswegen“ einen „Aufstand“ anzetteln? „Die ist in den Wechseljahren und hat wohl Halluzinationen“, wurde Jahre zuvor hinter dem Rücken einer Kollegin getuschelt, die sich öffentlich der sexuellen Belästigungen durch Klaus E. zu erwehren versuchte. Ein vertrauenswürdiger Kollege, der Stadtkämmerer von Lauenburg, wird zu Rate gezogen. „Selbst wenn Du jetzt in der Stadtverwaltung Gehör findest, wirst Du das noch jahrelang zu spüren bekommen“, sagt er zu Vera R.
    Die Situation spitzt sich zu. Tag und Nacht werden die Frauen auch telefonisch von Klaus E. belästigt. Schließlich wird Helga H., die nach mehreren Hüftoperationen auf zwei Krückstöcke angewiesen ist, in ihrem Dienstzimmer von ihm regelrecht angefallen. Nur durch einen gut plazierten Stoß mit dem Ellenbogen gelingt es ihr, den Angreifer kurzfristig zu vertreiben und Vera R. zur Hilfe zu holen. Wenig später sucht der hohe Beamte Vera R. nachts in ihrer Wohnung auf und vergewaltigt sie. Ihr Ehemann ist aus beruflichen Gründen die Woche über nicht in Lauenburg. Das war im Dezember 1979. Jetzt endlich entschieden sich die beiden Frauen, nicht nur den Bürgermeister der Stadt zu informieren, sondern auch Anzeige gegen Klaus E. zu erstatten. Daß sie überhaupt den Mut fanden, den Weg durch die behördlichen und gerichtlichen Instanzen anzutreten, und daß sie auch nach einem in Teilen skandalösen Gerichtsverfahren noch bereit waren, ihre Geschichte den jungen Kieler Videofilmern Quinka F. Stoehr und Kay Illfrich anzuvertrauen - das unterscheidet diesen Fall wohl vor allem von den vielen anderen, die sich täglich nicht nur in Lauenburg ereignen.

    Der Film, der Ende Oktober in Kiel uraufgeführt wurde, ist vor allem aus den Gesprächen mit den beiden Frauen entstanden. Mag einem auch mancher Kommentar der Filmemacher eher überflüssig, manche Frage an die Frauen, die mühsam nach Formulierungen suchen, zu ungeduldig erscheinen - entstanden ist doch ein ungewöhnlicher Einblick in die gewöhnliche sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz. Und als stärkster Eindruck bleibt die Einsamkeit und Isolation, in die zwei Frauen geraten, die ohne die Einbindung in Frauenzusammenhänge, ohne die Unterstützung von Notrufgruppen o.ä. versuchen, sich gegen den Verursacher ihrer körperlichen und psychischen Verletzungen zur Wehr zu setzen. Neben den beiden Ehemännern, die, nachdem sie „eingeweiht“ wurden, ihre Frauen rückhaltlos unterstützen, bleibt als einziger Beistand Karl–Heinz E., der Stadtkämmerer. Als Einziger war er trotz des massiven Drucks von Seiten der Stadtverwaltung zu Aussagen vor der Kamera bereit. Im deutsch–gemütlichen Ambiente seines Wohnzimmers hat der Zuschauer Teil an seinen Überlegungen, inwieweit ein gewisses Maß an sexueller Belästigung von Frauen nicht einfach hingenommen werden muß, wenn sie ihren Arbeitsplatz nicht wegen Aufmüpfigkeit aufs Spiel setzen wollen. Auch noch angesichts der Vergewaltigung Vera R. meint er: „Aber ich möchte eine Frau wie sie, mit 54, heutzutage auch nicht ohne Arbeitsplatz sehen ...“. Die übrigen Kollegen im Amt gehen auf Distanz, verwenden ihr Mitgefühl eher auf den „armen Familienvater Klaus E.“, der durch disziplinarische Maßnahmen wie Suspendierung und Kürzung seiner Dienstbezüge hart getroffen sei. Erst als er in erster Instanz zu sieben Jahren Haft wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung verurteilt wird, haben es plötzlich alle schon immer gewußt. „Wir hätten ein Buch über ihn schreiben können, wenn wir ausgepackt hätten“, bekommen Vera R. und Helga H. jetzt zu hören.

    Aber mit diesem Urteil ist der Fall noch lange nicht abgeschlossen. Klaus E., der sich seiner Freundschaft zu CDU–Spitzenpolitikern wie Uwe Barschel und Gerhard Stoltenberg rühmt, weiß dann schließlich doch, wie man sich bei Gericht Gehör verschafft. Mit einem Anwalt aus dem Bossi–Büro zieht er vor das Kieler Landgericht, um dort mit seiner haarsträubenden Variante der Geschichte aufzuwarten: Das Ganze sei ein Komplott zwischen Vera R. - zu der er eine Liebesbeziehung unterhalten habe - und dem ehemaligen Lauenburger Bürgermeister, der sich aufgrund politischer Querelen an ihm habe rächen wollen. Sein Beweis: die Zeugenaussage eines Lauenburger Dachdeckers, der Klaus E. zweimal um die Mittagszeit mit einer blonden Frau (die er nicht als Vera R. zu identifizieren weiß) im Auto gesehen hat. Zwar bestätigen ein ärztliches Attest und mehrere Zeugenaussagen Vera R.s desolaten Zustand am Morgen nach der Vergewaltigung, und in der Version von Klaus E. ist die Motivation der Frau, sich dem Bürgermeister zuliebe diesem Prozeß auszusetzen, nicht nachzuvollziehen. Dennoch folgt das Kieler Landgericht Klaus E.s Darstellung in vollem Umfang und spricht ihn frei. Was die Nötigung gegenüber Helga H. betrifft, gesteht er massiven Alkoholkonsum und eine „Erinnerungslücke“ ein und wird zu 4.000 DM Geldstrafe verurteilt. Für die Lauenburger Stadtverwaltung offenbar ein Kavaliersdelikt: Die disziplinarischen Maßnahmen gegen Klaus E. werden aufgehoben, der Beamte voll rehabilitiert zum Verwaltungsleiter des Städtischen Krankenhauses gemacht. Als strahlender Sieger läßt er sich gemeinsam mit seiner Frau in "Bild" ablichten.
    Vera R. hingegen wird die Rechnung nun auch noch von ihrer Anwältin präsentiert: 30.000 DM für ihren Einsatz, der sich laut Aussagen von Prozeßbeobachtern auf ein paar dürre Worte im Schlußplädoyer beschränkte. Frauen aus der Kieler Notrufgruppe, die sie bei der Wahl der Anwältin hätten beraten können, erfuhren erst am vorletzten Verhandlungstag von dem Verfahren. In Lauenburg ist das alles inzwischen vorbei und vergessen, sagt Helga H.: „Die Leute sagen: Es ist doch nichts passiert.“ Vera R., Helga H. und Karl–Heinz E., die weiter versuchten, gegen das Kieler Urteil anzukämpfen, sind auf unattraktive Arbeitsplätze abgeschoben und von eigentlich „anstehenden“ Gehaltserhöhungen ausgenommen worden. Eine nicht „anstehende“ Gehaltserhöhung hatte Klaus E. Vera R. noch am Morgen nach der Vergewaltigung angeboten. Sie hatte von dem Schweigegeld nichts wissen wollen. Wie dünn der Mantel aus Schweigen und Selbstgefälligkeit ist, der über die „Affaire“ in Lauenburg gedeckt wurde, bekamen allerdings Quinka F. Stoehr und Kay Illfrich bei ihren Dreharbeiten zu spüren. Mit Drehverboten in den Räumen der Stadtverwaltung und Einschüchterungsversuchen gegenüber aussagewilligen Kollegen fing es an. Dann intervenierten Klaus E.s politische Freunde sogar bei der Kulturabteilung des Kieler Studentenwerkes - und erreichten, daß den Studenten keine Videokameras mehr für ihre Arbeit zur Verfügung gestellt wurden. Selbst die Vorführung des auf eigene Kosten fertiggestellten Filmes wurde schwierig; es fand sich in Kiel über längere Zeit kein Veranstalter. Auch eine im Anschluß an die Uraufführung geplante Podiumsdiskussion konnte nicht stattfinden, weil sich aus dem Spektrum der CDU und aus den Reihen der Kieler Richter/innen keine Diskussionsteilnehmer bereitfanden.
    (...)
    In der brechend vollen Kieler „Pumpe“ hinterließ die Uraufführung ein sichtlich beeindrucktes, aber ratloses Publikum. (...) Der mit Vera R. zur Uraufführung erschienene ehemalige Stadtkämmerer Karl– Heinz E. lieferte einige Nachträge zum Stand der Auseinandersetzungen in Lauenburg. U.a. berichtete er von Vera R.s Versuch, Mitglied des „Deutschen Beamtenbundes“ zu werden. Ihr Aufnahmeantrag wurde abgelehnt, weil die Gewerkschaft befürchten mußte, durch ihre Aufnahme „ein anderes wichtiges Mitglied“ zu verlieren. Wo es darum geht, den Täter vor der Konfrontation mit seinem Opfer zu schützen, scheint das Gedächtnis der Stadt Lauenburg denn so schlecht nicht zu sein.
    Irene Stratenwerth


    Von Kay Ilfrich
    Spökenkieker 12/1986

    Die Schwierigkeiten im Umgang mit einem Tabu –
    Wie die Filmarbeiten behindert worden sind:

    Kay Ilfrich, einer der Autoren des Films ‚Vergessen kann ich das nie“, beschreibt die Schwierigkeiten, die der Filmarbeit - offen und verdeckt - von offiziellen Stellen gemacht worden sind.

    Die Geschichte des Filmes beginnt mit Quinka Stoehrs Arbeit in der Notrufgruppe für vergewaltigte Frauen; sie beginnt mit einem besonders krassen Fall von juristischer Vertuschung einer Vergewaltigung auf dem Rücken einer betroffenen Frau; sie beginnt mit dem Kennenlernen dieser Frau und ihrer haarsträubenden Geschichte.
    Es entstand das Bedürfnis, diese Geschichte öffentlich zu machen, zu zeigen, was sich hinter der Zeitungsmeldung vom freigesprochenen Vergewaltiger an subtilen Mechanismen der Unterdrückung und an Leiden der betroffenen Frauen verbarg. Dieses Bedürfnis von uns traf sich mit dem Willen von Vera Ritzka, das ihr zugefügte Unrecht nicht hinzunehmen, über ihre persönlichen Erfahrungen zu sprechen, öffentlich die Wahrheit zu sagen, über das, was ihr angetan wurde. In der Kleinstadt Lauenburg, aber nicht nur dort, ist dies ein mutiges Verhalten, aber im Grunde nur die konsequente Fortsetzung des Mutes, den sie schon mit ihrer Anzeige gegen den mächtigen Vorgesetzten bewiesen hatte. Uns erschienen Vera Ritzka und auch die ebenfalls betroffene Kollegin Waltraut Hiltmann mit ihrer Aufrichtigkeit als einsame Inseln im Sumpf aus männlichem Chauvinismus, arroganter Machtanmaßung, Hilflosigkeit, Heuchelei und Feigheit.

    Daß dieser Sumpf bis in die Kieler Ministerien reicht, mußten wir schon sehr bald erfahren. Herr Kamischke von der Kommunalaufsicht des Innenministeriums, direkt mit dem Disziplinarverfahren gegen den freigesprochenen Vergewaltiger Klaus Ewert beschäftigt, machte sich zu dessem persönlichen Anwalt. Wir begannen unser Filmprojekt in der Video-AG des Studentenwerks. Herr Kamischke erreichte beim Leiter der kulturellen Arbeitsgemeinschafter des Studentenwerks, Kurt Denzer, daß dieser auf die Einstellung der Filmarbeiten drängte. Kurt Denzer war durch die direkte finanzielle Abhängigkeit der kulturellen Arbeitsgemeinschaften von außerplanmäßigen Geldern des Kultusministeriums leicht erpreßbar. Die Angst Denzers, daß die CDU-Seilschaften innerhalb der Landesregierung zum Schutz des Kollegen Ewert die studentische Kulturarbeit lahmlegen könnten, war nicht völlig unbegründet. Doch die Dreistigkeit, mit der hier Schweigen verordnet werden sollte, funktioniert eben nur, solange die Betroffenen tatsächlich den Mund halten. Fast nirgends in unserer Gesellschaft ist Gewalt und Unrecht so sehr mit allgemeinem Schweigen verbunden, wie bei der an Frauen verübten Gewalt.

    Die Tabuisierung von Vergewaltigung schützt die Vergewaltiger.
    Im Fall des Klaus Ewert schienen das Gericht, das ihn freisprach, und die BILD-Zeitung, die Vera Ritzka offen als Lügnerin hinstellte, ihre Arbeit zur Zufriedenheit des Angeklagten getan zu haben. Mit viel Mühe, die bis in die Widersprüche der Urteilsbegründung hinein zu verfolgen ist, hatten es die Juristen geschafft, die Vergewaltigung aus der Welt zu schaffen. Nun sollte Gras über die Sache wachsen und ja keiner mehr dran rühren. In Lauenburg, bei den Arbeitskolleginnen von Vera Ritzka, hatte schon die gedankliche Vorwegnahme eines möglichen Freispruches und die daraus folgende Angst vor Repressalien für Schweigen gesorgt. Viele Erlebnisse dieser Frauen mit Ewert kamen so nicht an die Öffentlichkeit. Indizien, die vielleicht einen Freispruch unmöglich gemacht hätten. Als der Film nach fast vier Jahren endlich gezeigt werden sollte, wiederholten sich genau diese Mechanismen der vorweggenommenen Ohnmacht. Diesmal nicht bei Angestellten der Lauenburger Stadtverwaltung, die ja noch relativ direkt betroffen sind, sondern bei Frauen, deren Beruf es eigentlich ist, gegen solche Strukturen anzuarbeiten, Öffentlichkeit herzustellen und die noch einen mächtigen Parteiapparat im Rucken haben. Als Mitveranstalter für die Uraufführung des Filmes und die anschließende Diskussion war das ‚Landesfrauenbüro‘ der SPD vorgesehen. Kurz bevor die endgültige Entscheidung über eine Beteiligung fallen sollte, bekam eine Mitarbeiterin Angst vor rechtlichen Schritten des freigesprochenen Vergewaltigers. Sie sah sich von vollkommen verschwommenen Einschätzungen über mögliche Rechtsfolgen derart in ihrer beruflichen Existenz bedroht, daß sie ihre und die Beteiligung des Landesfrauenbüros absagte.

    Auch die ‚Pumpe‘ zog sich daraufhin als Veranstalter zurück. Obwohl die Mitarbeiterin des Landesfrauenbüros Vera Ritzka persönlich kannte, obwohl sie voll und ganz hinter dem Inhalt des Filmes stand, hatte sie kein Vertrauen in die öffentliche Überzeugungskraft dessen, was im Film geschildert wird. Während Klaus Ewert die betroffenen Frauen auch mit Hilfe seines teilweisen Freispruchs nicht brechen konnte, hatte er auf wesentlich entfernteren Ebenen Erfolg:
    Die Wahrheit zu wissen und sie nicht zu sagen; von einer Vergewaltigung zu wissen und sie nicht Vergewaltigung zu nennen; bis hin zum Extrem, eine Vergewaltigung, zum Beispiel in der Ehe, zu erleiden und sie nicht als solche zu begreifen, das sind die Mechanismen, die Vergewaltigung in dieser Gesellschaft tausendfach ungesühnt ermöglichen. Nicht nur beim Problem Vergewaltigung, aber dort besonders drastisch, wird der Einzelne und im Ergebnis die ganze Gesellschaft gezwungen, Unrecht hinzunehmen, als Bestandteil der Normalität in die eigene Verstellungswelt einzubauen, mit einer gespaltenen Persönlichkeit zu leben.

    Diese Männergesellschaft hat die Macht, Vergewaltigung wegzudefinieren. Dazu müssen allerdings die Betroffenen erst zum Schweigen gebracht werden. Das Schweigen zu brechen, Öffentlichkeit herzustellen und politisch zu schützen ist demgegenüber ein wichtiger Ansatzpunkt, um Vergewaltigungen vorzubeugen. Jeder kann sich daran beteiligen.

  • Team

    Regie, Kamera, Schnitt
    Kay Ilfrich, Quinka Stoehr

    Mitarbeit
    Susanne Komfort und Peter Wolter

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